Wir haben gestern im Bundestag einen historischen Tabubruch erlebt. CDU/CSU haben gemeinsam mit der AfD einen Antrag durchgebracht – entgegen aller bisherigen Praxis seit der Gründung der Bundesrepublik und entgegen konkreter Zusagen für die Zeit nach dem Koalitionsbruch. Friedrich Merz hat das sehr bewusst gemacht und keine Verhandlungen zu Inhalten mit SPD und Grünen gesucht.
Beim Ergebnis kam Applaus nur von der AfD, deren Abgeordneten triumphierten, weil sie genau wissen, was sie gewonnen haben. Die Union wirkte bedröppelt, als sie merkten, dass Wirklichkeit geworden ist, wovor wir sie gewarnt hatten. Merz riskiert, dass die CDU endet wie die konservativen Volksparteien in Österreich, Frankreich oder Italien: geschrumpft, überholt von extrem Rechten.
Morgen droht uns eine noch gravierendere Situation. Die Union will ein Gesetz durchbringen, das nur mit AfD-Stimmen eine Mehrheit hätte – ein Gesetz, das europäisches Recht brechen und die EU-Reisefreiheit gefährden würde. Deutschland würde damit rechten Regierungen in Europa, wie Ungarn oder Italien, eine Vorlage liefern, europäisches Recht weiter auszuhöhlen.
Bereits die gestrige Entscheidung zeigt: Eine Zusammenarbeit von Union und AfD ist nicht mehr ausgeschlossen. Wie soll Merz als Parteivorsitzender jetzt noch einschreiten, wenn die CDU in
Ländern oder Kommunen mit der AfD zusammenarbeiten oder koalieren möchte? Ich halte es sogar für möglich, dass die Union mit der AfD koaliert. Siehe Österreich.
Persönlich enttäuscht mich mein CSU-Kollege aus dem Wahlkreis, Alexander Radwan. Noch im vergangenen April hat er sich im Interview mit dem Tölzer Kurier deutlich gegen die AfD ausgesprochen (https://www.merkur.de/lokales/region-miesbach/miesbach-ort29062/csu-abgeordneter-alexander-radwan-massenvertreibungsplaene-der-afd-treffen-auch-deutschee92884356.html), neun Monate später stimmt er gemeinsam mit Rechtsextremen aus dieser Partei für eine Mehrheit im Bundestag.
Dabei bieten weder der Antrag gestern noch der Gesetzentwurf morgen Ansätze für mehr Sicherheit in Deutschland. So hat der Bundestag die Regierung gestern aufgefordert, rund 200.000 Menschen mit Duldungsstatus in Deutschland in Haft zu nehmen.
Das geht praktisch nicht und richtet sich fast ausschließlich gegen Unschuldige. Die Sicherheit wird so nicht höher, sondern geringer. Stattdessen sollten wir endlich denen, von denen wir wissen, dass sie krank, kriminell oder extremistisch sind, Behandlung, Strafe, Überwachung oder Abschiebung zukommen lassen. Und den großen Rest der Geflüchteten arbeiten lassen, damit sie sich hier etwas aufbauen und beitragen können.
Übrigens: SPD und Grüne wollten gestern auch die Umsetzung des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) auf die Tagesordnung im Bundestag setzen. Die Union hat der Aufsetzung aber formal widersprochen, um das Bild erzeugen, dass wir als Regierung nur reden würden und nur sie bereit wären, etwas zu tun. GEAS kommt nun ohne öffentliche Debatte ins Plenum.