Offener Brief: Umgang mit Studierenden aus der Ukraine

20. Mai 2022 | Offener Brief an Landrat Olaf von Löwis

Sehr geehrter Herr Landrat,
lieber Olaf,

bei meinen vielen Terminen, die ich hier in der Region als Bundestagsabgeordneter mache, begleitet mich das Thema „Arbeitskräftemangel“ kontinuierlich. Wie schaffen wir die Energiewende ohne Handwerker*innen, die Solarzellen, Wallboxen für E-Autos und Wärmepumpen installieren? Wie die Agrarwende, wenn das Lebensmittelhandwerk mangels Nachwuchs stirbt? Die Wirtschaft braucht dringend ausgebildete Fachkräfte; in der Verwaltung dauern Verfahren auch deswegen zu lang, weil Stellen unbesetzt sind und wie überall fehlen in unserer Region Fachkräfte in der Pflege und in Kindergärten. Von der angelernten Küchenhilfe in der Gastronomie bis zu promovierten Ingenieurinnen fehlt es hier an allen Ecken und Enden.

Das weißt du natürlich. Ich schreibe dir diesen Brief, weil ich glaube, dass wir im Landkreis gerade sehenden Auges eine Chance ungenutzt lassen. Auch wenn diese Chance aus einer Katastrophe entstanden ist.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine hat auch das Leben von Studierenden aus allen Teilen der Welt auf den Kopf gestellt, die an ukrainischen Universitäten eingeschrieben waren. Ungefähr drei Dutzend Studierende ohne ukrainischen Pass von ukrainischen Universitäten hat es in den letzten drei Monaten in den Landkreis Miesbach verschlagen. Viele davon haben sogar schon einen Bachelor-Abschluss. Bis Ende August erlaubt die „Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen“ ihnen, unbürokratisch hier zu bleiben.

Es wäre in meinen Augen sinnvoll, wenn diese Leute länger bleiben und hier arbeiten oder ihre Ausbildung abschließen könnten. Dazu müsste das Ausländeramt im Landratsamt mit ihnen individuell ausloten, wie es für ihre jeweilige Situation und Herkunft möglich wäre, hier eine Form von Aufenthalts- und Arbeitsrecht zu bekommen. Das wäre eine Win-Win-Situation für diese Menschen und unsere Region.

Von Ehrenamtlichen, die sich Geflüchteten aus der Ukraine angenommen haben, höre ich jedoch, dass das Ausländeramt im Landratsamt Miesbach genau das Gegenteil macht. Wer ohne ukrainischen Pass aus der Ukraine in den Landkreis Miesbach kommt, wird pauschal zur Ausreise in sein oder ihr jeweiliges Heimatland gedrängt. Selbst Menschen, die konkrete Jobangebote von Unternehmen vor Ort haben, bekommen keine Arbeitsgenehmigung, weil das Landratsamt davon ausgeht, dass sie ohnehin im Sommer ausreisen müssen.

Da sich diese Menschen in der EU frei bewegen können und nicht immer in ihre Heimatländer zurück wollen oder können, drängt sie dieses Vorgehen aus dem Land oder zumindest aus dem Landkreis oder dazu, unnötige, langwierige und tendenziell wenig aussichtsreiche Asylverfahren zu beginnen.

Bitte nutze deinen Einfluss im Landratsamt, damit auch für diese Menschen eine gute Lösung gefunden werden kann.

Schöne Grüße,
Karl Bär