Deutsche Pestizide vergiften weltweit Millionen Menschen

12. September 2022 | Pressemitteilung
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will gegen den Export besonders gefährlicher Pestizide vorgehen. Das hat die Lobby der Chemiekonzerne auf den Plan gerufen, die weiter ungestört ihre Geschäfte machen wollen. Wie schockierend die Folgen der Pestizidexporte sind, erklärt Karl Bär MdB, Obmann für Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft:.

„Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in meinem Auftrag schockierende Zahlen zusammengetragen: Weltweit erleiden jedes Jahr 385 Millionen Menschen akute Pestizidvergiftungen. Für viele Menschen im ländlichen Raum sind Hautausschläge, Atemnot und Übelkeit infolge von Pestizideinsätzen Teil des Alltags. Zudem machen Pestizide in manchen Weltregionen die Hälfte aller Suizide aus. Die Selbsttötung durch die Einnahme von Pestiziden ist damit eine der drei häufigsten Suizidarten weltweit.

Deutschland ist dabei einer der wichtigsten Exporteure von hochgiftigen Wirkstoffen. Pestizide, die in der EU längst verboten sind, werden von Bayer, BASF und Co. im großen Maßstab und mit großen Gewinnen nach Brasilien oder Indien verkauft. Man muss es so deutlich sagen: Die Profite deutscher Chemiekonzerne haben Millionen Menschen vergiftet. Wir können nicht länger zuschauen: Seit der Amtsübernahme der Ampel-Regierung haben sich vermutlich über 100.000 Menschen mithilfe von Pestiziden das Leben genommen.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat angekündigt, den Export in der EU verbotener Substanzen anzugehen. Das muss jetzt schnell konkretisiert werden und zu umfassenden Exportverboten führen. Stoffe, die in Europa wegen akuter Gefahren für Mensch und Umwelt verboten sind, dürfen auch nicht mehr ans andere Ende der Welt verkauft werden.“


Faktenübersicht:

Wissenschaftler*innen schätzen, dass es derzeit rund 385 Mio. akute Vergiftungen inkl. rund 11.000 Todesfälle infolge Pestizid-Anwendungen weltweit pro Jahr gibt.¹

Neben diesen unbeabsichtigten Vergiftungen gibt es eine hohe Zahl von Todesfällen infolge beabsichtigter Vergiftungen mit Pestiziden: Für den Zeitraum 2010-2014 wurden 168.000 Suizid-Todesfälle pro Jahr geschätzt, welche einen Anteil von 19,7 % an allen Suiziden weltweit hätten.²
Für den Zeitraum 1960-2018 wird die Gesamtzahl der Pestizid-Suizide auf rund 14 Mio. geschätzt. Bei dieser Zahl muss von einer Unterschätzung ausgegangen werden, weil ein Suizid in vielen Regionen tabuisiert wird, in vielen Ländern sogar illegal ist, und weil die Erfassung von Todesursachen in ärmeren Regionen und im ländlichen Raum lückenhaft ist.³

In einem Bericht des UNEP von 2013 wurden die Gesundheitskosten im Zusammenhang mit der Belastung durch Pestizide allein im Teil Afrikas südlich der Sahara geschätzt: “The evidence in the UNEP 2013 report, Cost of Inaction on the Sound Management of Chemicals, also supports the need for action to reduce risks from pesticides in use. In the report, it is estimated that the health costs associated with exposure to pesticides in sub-Saharan Africa in the period 2005–2020 without any preventive and risk reduction actions will amount to at least $97 billion.”⁴

Aus Deutschland werden Pestizide mit ca. 40-50 Wirkstoffen ohne EU-Genehmigung exportiert. 2020 waren es rund 8.250 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe ohne EU-Genehmigung. Zudem werden weitere Mengen an Wirkstoffen als Reinsubstanz exportiert, um sie später zu anwendungsfertigen Pestiziden zu verarbeiten. Weiterhin gelangt eine unbekannte Menge an gefährlichen Beistoffen in den Export, die zu 144 Beistoffen gehören, die in der EU verboten sind.⁵

Ein Beispiel für einen Stoff, der in Berichten der WHO und wissenschaftlicher Literatur als Suizidwerkzeug erwähnt wird und aus Deutschland exportiert wird, obwohl er in der EU nicht eingesetzt werden darf, ist Dimethoat. Beispiele für Pestizide, die aus Deutschland exportiert werden, obwohl sie in der EU nicht mehr eingesetzt werden dürfen und in ärmeren Ländern Gesundheitsschäden verursachen, sind das im Weinbau eingesetzte Cyanamid oder das Totalherbizid Glufosinat, das in Südamerika auch aus Flugzeugen versprüht wird.

Deutschland gehört weltweit zu den vier größten Pestizid-Exporteuren. Mit einem Exportvolumen von 3,9 Mrd. USDollar (inkl. genehmigter Wirkstoffe) hat Deutschland einen Anteil von 9,5% am Weltmarkt.⁶


¹ Boedeker et al. (2020): The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review. BMC Public Health (2020) 20:1875. https://doi.org/10.1186/s12889-020-09939-0
² Mew et al. (2017): The global burden of fatal self-poisoning with pesticides 2006-15: Systematic review.
https://doi.org/10.1016/j.jad.2017.05.002
³ Karunarathne et. al. (2020): How many premature deaths from pesticide suicide have occurred since the agricultural Green
Revolution? https://doi.org/10.1080/15563650.2019.1662433
⁴ zitiert aus: SAICM (2015): International Conference on Chemicals Management
http://www.saicm.org/images/saicm_documents/iccm/ICCM4/FINALmtgdoc/Doc8/K1502177%20SAICM-ICCM4-8-e.pdf
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=uriserv:OJ.L_.2021.074.01.0007.01.DEU
https://www.worldstopexports.com/top-pesticides-exporters/