Angriff auf Verbraucherinteressen

04. Dezember 2025
Lebensmittel aus Gentechnik-Pflanzen sollen künftig ohne Risikoprüfung und Verbraucher-Kennzeichnung verkauft werden dürfen. Gentechnikfreie Alternativen wie Bio werden teurer, weil Schutzregeln für Anbau und Verarbeitung entfallen. Pflanzen aus neuer Gentechnik werden konventionell gezüchteten Sorten rechtlich gleichgestellt. Dennoch dürfen Konzerne Patente auf deren Eigenschaften anmelden - selbst wenn diese bereits in der Natur existieren. Das zementiert die Marktmacht von Großkonzernen und blockiert die Arbeit kleinerer Züchter.

  • Abschaffung von Vorsorgeprinzip und Transparenz: Für 95 Prozent der Pflanzeneigenschaften, die durch neue Gentechniken erzeugt werden können, gilt das vorsorgende EU-Gentechnikrecht künftig nicht mehr. Die bislang vorgeschriebenen Umwelt- und Verbraucherschutzauflagen entfallen. So das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen, die am 4. Dezember 2025 endeten. Eine Bestätigung im Rat und EU-Parlament wird bis März erwartet – voraussichtlich nur durch Stimmen von Rechtsaußen.
  • Angriff auf Verbraucherinteressen: Lebensmittel aus Gentechnik-Pflanzen sollen künftig ohne Risikoprüfung und Verbraucher-Kennzeichnung verkauft werden dürfen. Gentechnikfreie Alternativen wie Bio werden teurer, weil Schutzregeln für Anbau und Verarbeitung entfallen. Pflanzen aus neuer Gentechnik werden konventionell gezüchteten Sorten rechtlich gleichgestellt. Dennoch dürfen Konzerne Patente auf deren Eigenschaften anmelden – selbst wenn diese bereits in der Natur existieren. Das zementiert die Marktmacht von Großkonzernen und blockiert die Arbeit kleinerer Züchter.
  • Wir Grüne im Bundestag: Neue Gentechnik muss reguliert bleiben. Wir fordern Risikoprüfung, echte Wahlfreiheit durch Kennzeichnung und ein Patentverbot auf Lebewesen. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Vorschlag im EU-Rat abzulehnen.

Dass unsere Äcker in Europa bisher gentechnikfrei sind – bis auf sehr kleine Flächen in Spanien und Portugal – verdanken wir dem starken Willen der Verbraucher*innen. Ihr „Gentechnik nein danke!“ sorgt bis heute dafür, dass fast keine mithilfe gentechnischer Eingriffe erzeugten Produkte in den Supermarktregalen liegen. Denn auf diesen müsste deutlich sichtbar „Gentechnik“ stehen. 

Genau das soll jetzt geändert werden. Die seit Mai laufenden Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat zur Absenkung von Auflagen für neue Gentechnikverfahren in Pflanzen wurden unter dänischer Ratspräsidentschaft am 3. Dezember 2025 abgeschlossen. Das Verhandlungsergebnis muss allerdings sowohl vom EU-Agrarministerrat als auch vom Europaparlament bestätigt werden. Dies wird voraussichtlich bis Ende März geschehen. Eine Zustimmung seitens des Europaparlaments wird nur gegen die progressive Allianz aus Grünen, Sozialisten und Linken und einzig durch die Kooperation der Konservativen und Liberalen mit der extremen Rechten möglich sein. Denn das Verhandlungsergebnis enthält keine der berechtigten Forderungen des Europaparlaments nach Verbraucher-Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit der Gentechnik-Pflanzen vom Saatgut bis zum Endprodukt, Umweltmonitoring und Patentierungsverbot.

Der zwischen Kommission, Ministerrat und EU-Parlament abgestimmte Verordnungsvorschlag sieht nun vor, dass fast alle mit neuen Gentechniken erzeugten Pflanzen ohne vorherige Prüfung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken auf europäischen Feldern angebaut und zu Lebensmitteln verarbeitet werden dürfen. Die bislang geltende Verbraucher-Kennzeichnung wird abgeschafft. Das ist Verbrauchertäuschung – Gentechnik wird einfach zu „keine Gentechnik“ umdefiniert!
Anbau-Auflagen zum Schutz von biologischer und gentechnikfreier Landwirtschaft fallen ersatzlos weg. Allein auf dem Saatgutsack wird noch erkennbar sein, ob neue Gentechnik eingesetzt wurde. Mit dem Verordnungsvorschlag wird es erstmals möglich sein, dass nicht nur gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, sondern auch Wildpflanzen, Bäume, Moose, Farne und Algen ohne Risikoprüfung oder Rückrufmöglichkeiten in die Umwelt freigesetzt werden dürfen. Einmal auf dem Markt – gibt es selbst bei erkannten Gesundheits- oder Umweltschäden keine Möglichkeit, die Nutzung der Pflanzen zurückzuholen. Obwohl diese mit neuen Gentechniken erzeugten Pflanzen nun konventionell gezüchteten Pflanzen gesetzlich gleichgestellt sind, dürfen Saatgutkonzerne die gentechnisch veränderten Pflanzen und ihre zum Teil auch in der Natur vorkommenden Eigenschaften anders als bei klassischer Züchtung uneingeschränkt patentieren – und damit der freien Nutzung durch andere Züchter entziehen und ihre Marktdominanz zementieren.

Wir Grüne im Deutschen Bundestag bleiben dabei: Neue Gentechnik bleibt Gentechnik. Ihre Produkte müssen weiterhin auf Risiken geprüft werden. Wahlfreiheit für Verbraucher*innen geht nur über Kennzeichnung. (Wie in unserem Plenarantrag vom 20. Mai 2025 gefordert.) Patente auf Pflanzen, Tiere und ihre genetische Eigenschaften darf es nicht geben. Bei Sondersitzungen des Agrar-, Umwelt- und Rechtsausschusses, die auf Antrag der Grünen am 25. November 2025 tagten, haben wir erneut auf die irreversiblen Risiken und schwerwiegenden Folgen dieser Deregulierung hingewiesen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb dazu auf, diesen Verordnungsvorschlag im EU-Ministerrat abzulehnen.

Gentechnikfreie Lebensmittel sind ein starker Wirtschaftsfaktor in Deutschland

Die Verbraucher*innen bevorzugen gentechnikfreies Essen. Das gewährleistet zum Beispiel die gesamte Biopalette von Brot über Gemüse und Milchprodukten, bis hin zu Fleisch. Das Bio-Siegel garantiert Gentechnikfreiheit. Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland will auch bei konventionellen Lebensmitteln wissen, ob sie gentechnisch verändert sind. Laut Umfragen sprechen sich je nach Fragestellung 64 bis über 90 Prozent für eine Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Lebensmitteln aus. Auch wenn sie aus neuen Gentechnikverfahren stammen. Als Grüne Bundestagsfraktion verteidigen wir dieses Recht der Verbraucher*innen auf Wahlfreiheit gegen die Interessen der Industrie. Deshalb haben wir mit einem Antrag zum Erhalt der Gentechnik-Kennzeichnung die schwarz-rote Regierung dazu aufgefordert, die Kennzeichnungspflicht auch in den neuen europäischen Gentechnikregeln verpflichtend zu verankern. Wie erfolgreich die Gentechnik-Kennzeichnung ist, zeigt der hohe Umsatz von Produkten, die das „Ohne Gentechnik“-Siegel tragen. Damit kann man sicher sein, dass die Tiere gentechnikfrei gefüttert wurden. In der Regel bedeutet es, dass keine gentechnisch veränderte Soja aus südamerikanischen Monokulturen im Futtertrog gelandet ist. So sind Dreiviertel der in Deutschland verkauften Milch mit dem „Ohne Gentechnik“ Siegel ausgezeichnet. Inklusive der Bioprodukte handelt es sich um einen Markt mit rund 33 Milliarden Euro Umsatz allein in Deutschland. 

Wahlfreiheit für Landwirt*innen und Verbraucher*innen durch Koexistenzregeln

Diese Wahlfreiheit ist für uns Grüne im Bundestag ein hohes Gut. Damit sie auch für Landwirt*innen gilt, braucht es wissenschaftlich fundierte Abstandsregeln für den Anbau von Gentechnikpflanzen. Sie sichern, dass gentechnisch veränderte Pollen des Nachbarn nicht den eigenen Acker kontaminieren und der betroffene Landwirt oder Imkerin das Produkt anschließend nicht mehr als gentechnikfrei oder Bio verkaufen kann. Diese so genannte Koexistenz ist schwierig bis unmöglich umzusetzen, besonders bei Pflanzen wie Raps, dessen Pollen kilometerweit fliegt.

Aus diesen Gründen gibt es in Europa etliche Regionen, die sich als gentechnikfrei deklariert haben und ganze Mitgliedstaaten wie Deutschland, die auf den Anbau des Genmaises MON810 verzichten, der einzigen Gentech-Pflanze, die bisher in der EU zum kommerziellen Anbau zugelassen ist. Mit den geplanten Gesetzesänderungen auf EU-Ebene sollen die Kennzeichnungspflicht vom Saatgut bis zum Lebensmittel, die Koexistenzregeln, die nationalen Anbauverbote und damit die Wahlfreiheit für gentechnikfreie Landwirtschaft abgeschafft werden. 

Für Umwelt- und Verbraucherschutzstandards und ein starkes Vorsorgeprinzip

Wir als Grüne Bundestagsfraktion setzen uns dafür ein, dass Umweltrisikobewertung und Kennzeichnung bleiben. Stellt ein Unternehmen einen Antrag auf Zulassung seines Produkts als Lebens- und Futtermittel oder zum Anbau, müssen die hohen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards der EU gelten. Sie stellen weltweit ein Vorbild dar. Jeder einzelne gentechnisch veränderte Organismus, der freigesetzt wird und auf unsere Teller kommt, – das sind Pflanzen, aber auch Tiere und Mikroorganismen – muss vor einer Marktzulassung auf mögliche negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit eingehend und wissenschaftlich unabhängig getestet werden. 

Das europarechtlich verankerte Vorsorgeprinzip muss für alle gentechnisch veränderten Organismen gelten, sobald sie freigelassen werden. Denn dort können sie sich vermehren, mit natürlichen Sorten auskreuzen und fragile Ökosysteme destabilisieren. Wir können dies nicht kontrollieren oder rückgängig machen. Vorsorge bedeutet: wenn große Risiken absehbar, aber die wissenschaftlichen Beweise dafür noch unzureichend sind, vorsorglich die Anwendung einer Technologie in der Umwelt zu unterlassen oder im Einzelfall Risiken zu überprüfen. Als Grüne Bundestagsfraktion nehmen wir unsere Pflicht zur Vorsorge ernst. Wir haben deshalb den Vorschlag zur Deregulierung der neuen Gentechnik rechtlich prüfen lassen. Unser Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Kommissionsvorschlags mit dem Vorsorgeprinzip ergibt, dass der Verordnungsvorschlag zur Deregulierung von neuen Gentechniken gegen das Vorsorgeprinzip verstößt. Weder der Ministerrat noch das Parlament haben Vorsorgemaßnahmen wie eine Umweltrisikoprüfung vor Zulassung von Gentechnikpflanzen in ihre Position mit aufgenommen. 

Wer Gentechnik sät, wird Patente ernten

Die Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas selbst sind patentiert – nur wer ein Bündel an notwendigen Lizenzen kauft, darf sie nutzen. Auch das gentechnisch veränderte Saatgut ist immer patentiert. Mit neuer Gentechnik können auch Gensequenzen, die es in wilden oder konventionell gezüchteten Pflanzen gibt, nachgebaut und patentiert werden. Auf diese Weise und durch die Deregulierung der neuen Gentechnik in der EU wird der freie Zugang zu genetischen Ressourcen als Grundlage für die Züchtung blockiert. In der Folge vermeiden kleine und mittlere Züchtungsunternehmen die Weiterzüchtung von Sorten, in denen es Patente gibt, um Rechtsstreitigkeiten mit Großkonzernen zu umgehen. Doch gerade von diesen kleineren Unternehmen wird das Saatgut entwickelt, das wir für die Klimaanpassung brauchen: regional angepasste Sorten und Nischenkulturen wie Erbsen, Linsen und Hafer. Als Grüne Bundestagsfraktion kämpfen wir für Patentfreiheit, damit diese kleinen Züchtungsunternehmen ihre wichtige Arbeit weiterführen können. Wie man das Patentrecht ändern kann, um Patente auf Pflanzen zu verbieten, haben wir in einem Patentrechtsgutachten ausarbeiten lassen.

Auch neue Gentechnik braucht klare Regeln

Seit einigen Jahren gibt es neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas. Trotz anderenorts laxerer Regeln als in der EU findet man weltweit nur wenige daraus hergestellte Produkte auf dem Markt. Allein eine vermeintlich blutdrucksenkende Tomate und eine Sojabohne mit verändertem Fettsäuregehalt. Diese war so erfolglos, dass der Hersteller sie zurücknahm. Dennoch ist der Druck der Gentechnik-Lobby auf die EU-Gesetzgeber enorm, die geltenden Gentechnikregeln zu senken, um Gentechnikpflanzen leichter in Europa anbauen und vermarkten zu können.

Mit einem Vorschlag zur Deregulierung will daher die EU-Kommission die Umweltrisikoprüfung, die Pflicht zur Gentechnik-Kennzeichnung und Koexistenzregeln abschaffen. Der Ministerrat folgt dem Vorschlag weitestgehend. Das Parlament will die Gentechnik-Kennzeichnung auf dem Produkt erhalten und die Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen einschränken. Das Zulassungsverfahren für Pflanzen aus neuer Gentechnik wollen alle drei Institutionen für die meisten Gentechnikpflanzen wegfallen lassen. Damit werden zentrale europäische Standards für Umwelt- und Verbraucherschutz abgebaut.

Wir sagen: Auch neue Gentechnik ist Gentechnik und soll wie diese reguliert bleiben. In unserem Fraktionsbeschluss „Gentechnik in der Landwirtschaft“ lehnen wir eine Absenkung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards ab. Wir stehen für Kennzeichnungspflicht und Umweltrisikobewertung ein. Jeder Mensch hat das Recht zu wissen, was in seinem Essen drin ist. Und jede*r Erzeuger*in muss das Recht haben, gentechnikfrei anbauen und produzieren zu dürfen. Wir wollen Patente auf Pflanzen abschaffen und setzen uns für Änderungen im Patentrecht ein. Denn mit neuen Gentechnikverfahren können sich große Saatgutunternehmen die Natur aneignen und Konkurrenten aus dem Markt drängen. Das führt zu weniger Sortenvielfalt und höheren Saatgut- und Lebensmittelpreisen. 

Die Debatte um Gentechnik auf Acker und Teller wird am Ende von den Verbraucher*innen bestimmt. Es kommt wesentlich auf sie an. Mit unserem Flyer „Neue Gentechnik in der Landwirtschaft“ haben wir alle wichtigen Argumente nochmal kurz zusammengefasst.